Die Zeichnungen eröffnen uns eine neue Sichtweise auf Altbekanntes, da es sich bei ihnen vielfach um die Kombination von Fragmenten unseres kollektiven Bilderrepertoires handelt. Diese wurden aus ihrem oftmals erzählenden Zusammenhang herausgelöst und mit anderen neu kombiniert. Allerdings nicht um einen neuen narrativen Kontext zu erzielen, sondern allein ob ihrer graphischen Qualität. Mit solchem Ansatz kommt es dann zur Gleichbehandlung von Berthold Brecht und Spider Man, von Fidel Castro und Aktdarstellungen, von Paul McCartney und vereinzelten Fraktura-Lettern. Ihre uns bekannte Bedeutung wird durch das Fehlen des ursprünglichen inhaltlichen Kontextes und die künstlerische Bearbeitung im graphischen Medium ausgeklammert. Inhaltlich bleiben die Bildelemente also Fragmente, formal aber treten sie in ein neues Spannungsverhältnis ein. So vielfältig die addierten Fragmente sind, so vielfältig sind die künstlerischen Mittel ihrer Darstellung. Die Zeichnungen kombinieren das Graphit des Bleistiftstrichs mit Wachskreiden, sowie Pastell- und Gouachefarben.
Bei deren Auswahl leitet Noll nach eigenem Bekunden allein der un-mittelbarste aller Motivatoren: „Die Freude am Gestalten, die pure Lust am Zeichnen“. Im Wechselspiel mit den scharfen linear-graphischen Akzenten und den starken Schwarz-Weiß Kontrasten steht die Wirkung von Farbe. Zum einen in starkfarbigen Flächen als luminöse Folien dahinter, zum anderen in geradezu malerischer Qualität wenn die Weichheit und Fragilität deutlich werden, mit der sie in den buntfarbigen Darstellungen aufgetragen wurde.
Dann können feine Schleier von Verwischungen die Körper überziehen, und den Eindruck vermitteln, als entzöge sich die Figur wieder unseren Augen. Manchmal sind es Darstellungen in fast schwereloser Vereinzelung, manchmal dichtgedrängt und sich gegenseitig überlagernd. Die Dynamik der langgestreckten fliegenden Körpersilhouetten, genauso wie die konzentrierte Kraft der geballten übereinandergeschichteten Bildelemente, scheinen das Format der Blätter zuweilen zu sprengen.
Doch bei aller Expressivität der Darstellungsweise und aller Vielfältigkeit der künstlerischen Mittel, wählt Noll für seine Zeichnungen durchgängig das gleiche kleine Format und unterwirft sich und seine Arbeiten so einer strengen formalen Restriktion. Während ihrer Entstehungszeit arbeitet er oftmals an mehreren Blättern gleichzeitig und bearbeitet sie dabei von verschiedenen Richtungen aus. Auch die dadurch entstehende multiperspektivische Lesbarkeit erhält durch die Signatur dann ihre entgültige Ausrichtung und formale Begrenzung. Keine formale Begrenzung, aber eine Konzentration der Aufmerksamkeit verlangen die Stücke wiederum von uns.Oftmals sind die Bild-
elemente nämlich verwischt, zerkratzt, nahezu getilgt oder drohen, überlagert von anderen, in der Bildtiefe zu verschwinden. Jede Zeichnung für sich ist ein autonomes Werk. Erst dessen Präsentationsform im Neben- oder Übereinander durch die gemeinsame Rahmung, gibt Raum für die Assoziation mit dem Streifen eines Negativs - oder aber mit dem Schnipsel eines Filmes, bei dem jede Szene auch für sich künstlerischen Eigenwert besitzt. Die Riefen und Kratzer der Zeichnungen werden darin zu Kratzern im Bild und zu Flackern während der Projektion.
Dr. Oliver Kornhoff, 2001
Mischtechnik auf Papier
10,5 x 15 cm
2001