Ausstellungseröffnung: Horst Noll
Donnerstag, 9.9.2004, 19 Uhr,
Stadtgalerie im Bürgeramt, Schulgasse 1,
63263 Neu-Isenburg Ausstellungsdauer: bis 23.12.2004
Horst Noll - Bilder
Mit der sechsten Ausstellung präsentiert die Stadtgalerie Neu-Isenburg den Künstler Horst Noll aus Neu-Isenburg.
Noll malt große, fast monochromatische Flächen, die nur bei genauem Hinsehen innere Strukturen preisgeben. Verhalten, zart, sinnig laden die Arbeiten zum Hineinsinken und zur meditativen Betrachtung ein. Die Farbigkeit der Arbeiten lässt Farbe neu entstehen; die Farbe definiert sich neu durch den fast schon provokanten Verzicht auf Form. Im völligen Gegensatz dazu stehen Horst Nolls kleinformatige Arbeiten, akkurate Zeichnungen, detailgetreu ausgearbeitet und von großer zeichnerischer Qualität. Die Ausstellungsbesucher werden im Spannungsfeld dieser beiden Pole gehalten. Auf der einen Seite das pralle volle Leben, das sich auch durch die Wahl der Bildmotive sehr dynamisch übersetzt: Menschen in Aktion, Turmspringer und Leichtathleten, Schauspieler und Comicfiguren, Menschen beim Liebesakt. Alles quirlt, bewegt sich, atmet. Auf der anderen Seite der Stillstand, in Farbe gegossene Gefühlswerte, die den Moment übersteigen und Dasein, Sein, den eigentlichen Grund der Dinge erspüren lassen.
Die Ausstellung von Horst Noll lädt zum Genuss ein. Sie stellt Zugänglichkeit aus sich selbst her, benötigt keine Erklärungsversuche. Im weiten Spannungsbogen finden sich die Ausstellungsbesucher wider. Horst Noll führt vom Ursprung ins Leben und wieder zurück.
Dr. Bettina Stuckard
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Den Gastvortrag zur Eröffnung hielt Gunther Sehring:
"Farb-Präsenz"
Horst Noll - Bilder und Zeichnungen
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde,
diejenigen unter Ihnen, die mich kennen, wissen, dass ich meine Vorträge zur Kunst, und zu Horst Noll insbesondere, gerne mit grundsätzlichen Denkanstößen oder Zitaten einleite. Diesmal soll es Theodor W. Adorno sein, der zu bedenken gibt: "Alles, was eine Funktion hat, ist ersetzbar. Unersetzlich ist nur, was zu nichts taugt.
"Es liegt ja auf der Hand, dass es bei dem extrem hohen existentiellen Risiko, das dem Künstler-Beruf anhaftet, etwas ganz anderes sein muss, das einen um- und antreibt, als die alltägliche Jagd nach Geld und Gütern. Heutzutage jedoch, wo längst mehr Menschen den Pinsel als Golfschläger oder Tanzbeine schwingen, sollte der "echte" Künstler sein Kunst-Produkt von vornherein notwendig selbst "brauchen" und sei es als ein Aufweis seiner Selbstliebe und um den Preis des "Preislosen".
Malerei ist für den Maler allemal kein Luxus. Selbst für den notorischen Sammler -beispielsweise - ist sie eine Notwendigkeit, obgleich uns diesbezüglich Tiffany höchstselbst versichert hat: "Luxus macht das Leben reicher- und den Käufer ärmer."
Um auf das Eingangszitat zurückzukommen: Gerade heute, in einer Zeit der globalen Ängste, der Markt- und Markendominanz sowie der medialen und virtuellen Reizüberflutung ist es geboten, in unserer Gesellschaft das zu retten, "was sich nicht funktional rechtfertigen lässt. Es ist Zeit, für die Dinge einzutreten, die keine Zwecke haben" (F. Steffensky)! Kunst - von ihrem Wesen her verstanden - transzendiert, noch immer, das Feld der gegenständlichen Erfahrung, ja ist gar Wahrnehmung des "Ausgeschlossenen", des Irrealen, und bekämpft die "drohende Banalität des Daseins, das kein Geheimnis mehr kennt" (G. Moser).
Freilich tun sich Kunstgeschichte und Kunstwissenschaft mit dem Phänomen Farbfeldmalerei und dem experimentellen Ansatz eines Horst Noll schwer. Ein kunsthistorisches Schubladendenken lässt meist die Komplexität einer Malerpersönlichkeit außer Acht, weshalb man, bezüglich zeitgenössischer Kunst, mit normativen Kategorien wie Integrität, Originalität oder Authentizität im Allgemeinen sehr viel weiter kommt.
Der gebürtige Neu-Isenburger Horst Noll hat sich seine Authentizität, seine Unverwechselbarkeit, sowohl im Bereich ungegenständlicher Malerei als auch bezüglich figurativer Kunst im Laufe eines Vierteljahrhunderts "ermalen" müssen. Dazu bedarf es wirklich Mut, Ausdauer und einer gewissen kalkulierten Sturheit! Vor allem Nolls Farben sprechen Empfindungen und Gefühle des Menschen unmittelbar an. Seine Malerei geht nicht in Begriffen auf, denn der Inhalt dieser Malerei auf Leinwand, Karton oder Holz ist eben die Malerei selbst. Sie kommt sozusagen ohne Umschweife zur Sache: Malerei als essentielle Malerei (das bedeutet: Die Farben sind nicht nur Darstellungsmittel, sondern auch Darstellungsgegenstand)! Weder sind die bemalten Leinwände und Holz-Objekte auf ihrer Vorderseite signiert noch sind sie bezüglich ihrer Hängung (auf links/rechts, oben/unten) definitiv festgelegt. Ihre Stärken liegen ohne Zweifel in der primär sinnlichen Gegenwart. Dies schließt spätere transzendente Erfahrungen des Betrachters vor dem Bild (wie auch das Assoziieren von "Landschaft" beispielsweise) keinesfalls aus; schließlich überwindet jedes echte Kunstwerk mühelos Materie, indem es diese verwandelt. Banal gesprochen: aus Farbe als farbgebender Substanz wird Farbe als rein optische, sinnesphysiologische Erscheinung; ist diese Farbe wiederum regelrecht gestaltet, kann sie auf Transzendenz weisen.
Der Künstler sieht sich als ein "Farb-Forscher" (H. Noll), der fast anonym hinter sein Werk tritt, als einer, der das Wunder Farbe initiiert wie inszeniert, welches sich dann gewissermaßen selbstverwirklicht: als Stoff, als Kraft, als Energie oder Licht. Der Dialog zwischen Maler und Farbe bringt autonome Bilder hervor, die - nur auf den ersten Blick einfarbig und flächig als lebendige, gleichsam "atmende" Farb-Organismen erscheinen. Schon während des spontanen Malprozesses lässt sich die Farbe auf ein Spiel seinen Reichtum an koloristischen Nuancen.
Dabei beeinflussen schon geringfügige Unregelmäßigkeiten der einzelnen transparenten Farbschichten die weitere Gestaltung. Kräftige, pastose Pinselspuren lassen als gestische "Einschübe" oder "Ausbrüche" gelegentlich Versehrungen, ja Wunden assoziieren. Doch sind sie dabei stets organisch in den Farbleib eingebunden.
Anonymität und Individualität der Farben wirken, im Bild vereint, als eine polychrome Synthese: Jedes Bild zielt letztlich auf Ganzheitlichkeit.Selbst dann, wenn der Betrachter unwillkürlich Gegensatzpaare zu analysieren weiß, wie etwa: klein/groß, nah/fern, materiell/immateriell, tastbar/un(an)tastbar, rau/glatt, unrein/rein, weich/hart, bewegt/unbewegt, bestimmt/unbestimmt usw. - Es ist jedoch nötig zu bemerken, dass all diese Gegensatzpaare keine bewussten Kompositionsprinzipien des Malers darstellen; vielmehr ergeben sich die Assoziationsmöglichkeiten aus der "Logik" des Bildes quasi von selbst.
Erstaunlich eigentlich, dass die zweifellos offen und experimentell angelegten Farb-"Gemälde" bisweilen abgeschlossener, vollendeter, wirken als des Künstlers kleinformatige Zeichnungen auf Papier oder Pappe. Zwar sind diese Miniaturen auf Wiedererkennbarkeit des Realen aus; aber nur was die Zeichnung selbst betrifft - die graphischen Linien, Striche und Schraffuren des Bleistifts -, denn tatsächlich handelt es sich um Mischtechniken, die ihren rein malerischen Anteil kaum verleugnen.
Die entzifferbaren bekannten wie unbekannten Dinge und Figuren scheinen zuweilen als fragile Traumgebilde in unbestimmbaren Farbsphären schwerelos zu schweben. In den Farbdunst verwoben erscheinen sie durchaus entbehrlich: als Versatzstücke einer künstlerisch zurechtgestutzten Außenwelt. Als reale Relikte bestimmen sie deshalb oft nicht das Bildzentrum, sondern gerne die Ränder und Ecken der Zeichnung. Jedenfalls lassen sie sich weder symbolisch noch allegorisch deuten; Noll geht es allein um die "pure Lust am Zeichnen und Malen" (H. Noll).
Die mit Liebe zum Detail virtuos gezeichneten "Körper-Welten" lassen sich eingrenzen. Es sind Athleten und "Springer" in dynamischer Aktion (ein Bildmotiv, das Noll gelegentlich auch in seinen Ölbildern variiert), neuerdings Stadt-, Orts- und heimatliche Landschaftsansichten und sogar verschmitzt-heimelig Folkloristisches - zu Speis und Trank laden Ebbelwoi-Schorsch und Handkäs-Hannes ein. Nicht zuletzt gibt es die berühmten Ikonen der Kultur- und Medienwelt: populäre Porträts als Fragmente "unseres kollektiven Bilderrepertoires" (O. Kornhoff). Vor allem Hollywood lässt grüßen: die Loren zum Beispiel, Marilyn und Marlene, Chaplin, Buster Keaton, Laurel und Hardy, sie und andere geben sich ein Stelldichein, ohne jedoch den wahren Protagonisten des ansonsten bewegten Bildgeschehens, die Farbe nämlich, die mal mehr, mal weniger kräftige Akzente setzt, auszubooten. Malerisch wirkende Verwischungen der Bleistiftspuren geben zusätzliche Effekte.
Es ist verblüffend, zu sehen, wie mittels einer äußerst aufwendigen digitalen Drucktechnik ("Piezographie") dieselben Bleistiftspuren zu gewaltigen Kohlestrichen mutieren. Die z.T. ja winzigen, intimen Arbeiten blähen sich insgesamt regelrecht auf – zum fast monumentalen, wandfüllenden Format. Hauchdünne Fissuren, Risse, Kratzer werden dabei zu breiten, tiefen Furchen, die wohldosierten Pinselfakturen der Originale erscheinen als wuchtige Pinselhiebe (die an action painting denken lassen), schrundige Aufwerfungen der Farbtextur Monumentaldruck an Verputz, vielleicht gar an Fresken.
Die großen Leinwandfahnen lassen bisweilen - Puristen unter Ihnen mögen' s mir verzeihen - entfernt an manche Arbeiten Richters oder Polkes denken.
Ob solche riesigen Digitaldrucke etwa im Sinne von Originalgraphik - auch im Werk Horst Nolls - überhaupt eine Zukunft haben, wird sich noch erweisen. Die Ästhetik jedenfalls ist quasi auf die Spitze getrieben; selbst das Motiv des im Krieg grauenvoll zerstörten Frankfurt, gezeichnet nach einer privaten Photovorlage, erscheint als höchst komplexe, durchaus reizvolle Komposition.
Meine Damen und Herren, ich vergleiche gerne ein Kunstwerk mit einem Kuchen oder einer Torte und eine wortreiche Interpretation mit einem Sahnehäubchen. Die Sahne des Interpreten schmeckt zwar recht lecker, wenn sie nicht in Schaumschlägerei ausartet, wichtiger aber ist doch wohl die Torte! Tortenessen ist ja kein Luxus - Sie erinnern sich? Vom Brot allein wird der Mensch bekanntlich nicht satt. Im Übrigen halte ich es für viel wichtiger, die Bilder sprechen zu lassen, als über sie wichtig und viel zu sprechen, denn, so drückt es Georges Braque aus, "in der Kunst ist nur eines von Wert: das, was man nicht erklären kann".
Gehen Sie, verehrte Zuhörer, also bitte nun selbst auf visuelle Entdeckungsreisen oder lassen Sie sich einfach von den Bildern überraschen. Trauen Sie den eigenen Augen - oder auch nicht!
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Gunther Sehring M.A.,
September 2004